Rede zum Tod von Gerd Rauhaus
von Michael Kleff
Bei meinem Geburtstag Anfang März hatten meine Frau Nora und ich mit Gerd besprochen, dass wir ihn in diesem Sommer auf seinem Boot in Frankreich besuchen wollten. Mitte Mai schrieb Gerd uns eine Postkarte, um an unseren Plan zu erinnern. Nur wenige Wochen später erreichte uns dann die Nachricht von seinem unerwarteten Tod. Vielen von Euch und Ihnen wird es in diesem Moment bestimmt so gegangen sein wie mir. Unendlich viele und tiefe Erinnerungen tauchten auf – an einen Menschen, der über viele Jahre hinweg ein wirklicher Freund und/oder guter Kollege gewesen war. Auf irgendeine Weise war das Leben der meisten hier Versammelten mit dem von Gerd eng verbunden. Ich war nicht der einzige, der in den letzten beiden Wochen in Schachteln und Alben nach Fotos gekramt hat und sich beim Anschauen an viel gemeinsam Erlebtes erinnert hat. Insofern ist das, was ich hier über Gerd sage, irgendwie auch eine Art kollektive Erinnerung – Mosaiksteine aus einem ausgefüllten Leben, das zu früh endete – zusammengetragen von einigen Freunden. Was hat Gerd Rauhaus für uns alle ausgemacht? Hier sind nur einige Attribute einer vielseitigen und vielschichtigen Persönlichkeit. Auf einige davon werde ich noch näher eingehen.
Gerd war – ganz ohne Bewertung in alphabetischer Reihenfolge:
Aufrichtig
ehrlich
einfallsreich
engagiert – für andere ebenso wie für die Dinge,
die ihm persönlich etwas bedeuteten Freiheitsliebend
ein ausgesprochen großzügiger Gastgeber
voller Gerechtigkeitssinn
hilfsbereit
humorvoll und witzig – mit Spaß am Absurden
loyal
rebellisch – zumindest im Geist
scharfzüngig – manchmal auch über das Ziel hinausschießend
ein scharfer Analytiker
unabhängig
uneitel – auch in Kleiderfragen
willensstark.
Gerd war mit Leib und Seele Journalist. Er liebte seinen Beruf, er war ein engagierter, sozialer und liberaler Demokrat. Trotz seiner Jahre bei der FDP war Gerd nie ein treuer Gefolgsmann dieser Partei, und nach 1982 schon gar nicht. Aber die Ideale des politischen Liberalismus, die Ideen von Freiheit, Verantwortung und Solidarität hatten ihn überzeugt und daran hielt er fest, als andere sie schon längst verraten hatten. Zum Beispiel als aktives Mitglied des Liberalen Zentrums Köln, einem politisch-kulturellen Klub, wo von der FDP vertriebene liberale Geister Ende der Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre eine Heimat fanden.
Erinnert sei in diesem Zusammenhang an eine Episode aus Gerds Berufsleben. Im Sommer 1990 leitete Gerd die Sitzung des Bundespressekonferenz, auf der Bundeskanzler Helmut Kohl über seine erfolgreichen Gespräche mit dem sowjetischen Generalsekretär Michail Gorbatschow berichtete, bei denen die letzten Hindernisse auf dem Weg zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten ausgeräumt worden waren. „Glückwunsch Kanzler“, gratulierte Gerd anschließend dem Regierungschef, und das war ihm sicher nicht ganz leicht gefallen. Denn er war alles andere als ein Freund Kohls und der Idee eines neuen, vereinigten Deutschland stand er lange Zeit recht skeptisch gegenüber. Aber ihm war auch klar, dass es da um einen Moment ging, in dem Geschichte geschrieben worden war und deshalb die durchaus ungewöhnliche Gratulation.
Gerd schrieb – meistens gerne – und immer gut und wehe, wenn etwas sein Missfallen erregt hatte, egal,
ob es Personen oder politische Ereignisse waren. Seine Kommentare konnten bissig,
ja boshaft sein und er machte dabei keinen Unterschied zwischen politischen Freunden und Gegnern.
Was ihm nicht gefiel, wurde gegeißelt und zwar so, dass es das Opfer auch spürte.
Die Hauptstadt Berlin war nicht Gerds Ding. Fünf Jahre von 2000 bis 2004 ging er daher als Korrespondent für die Nürnberger Nachrichten nach Brüssel.
Dort befasste er sich mit der Eurokratie, versuchte, sie zu verstehen und dieses Verständnis seinen Lesern zu vermitteln.
Das Leben außerhalb der Kommission interessierte ihn aber mehr. Für seine Kolumne stieß er auf Themen wie:
„Fröhliche Feste sind wichtiger als Wahlkampf“
„Brüsseler Geschnatter“ über die Personalpolitik
„Kuhhandel mit der Kunst“
„Der Kampf ums Reinheitsgebot beim Bierbrauen,
„Die Frittenbuden in Brüssel und deren Raffinessen.
Und natürlich über das Männeken Pis, die vielen Museen und die belgischen Künstler,
die so oft für Franzosen gehalten werden wie Jacques Brel oder Georges Simenon.
Über seinen Abschied von Brüssel schrieb Gerd:
„Schmerz beim Scheiden von Brüssel?
Es wird etliche Städte geben, bei denen der Abschied nach einigen Jahren Aufenthalt auf den ersten Blick schwerer fallen mag –
Rom etwa oder Venedig oder Barcelona und viele andere zwischen Vancouver und Kapstadt.
Aber von denen weiß man es oder hat es schon selbst erlebt, doch von Brüssel wissen es die meisten nicht“,
schrieb Gerd und gab die Empfehlung, doch einmal hinter die Kulissen zu schauen:
„Aber warum setzen wir uns nicht einfach an einen der zahlreichen Plätze der Brüsseler und der vorübergehend Zugereisten, dorthin,
wo das Sprachengewirr wabert und die kulturelle Vielfalt der Stadt auch im Freien blüht? Hier hat man den Charme der Stadt lieben gelernt.
Also bestellen wir nochmal ein großes belgisches Bier und lassen vieles Revue passieren. Noch ist die Wohnung ja nicht gekündigt.
Aus Brüssel verabschiedet sich Gerd Rauhaus.“
Gerds analytischen und journalistischen Fähigkeiten entsprach seine Lust zu anarchisch-irrationalem Blödsinn. Das war zu einer Zeit, wo Begriffe wie Comedy und Eventkultur noch nicht Dudenmäßig erfasst waren. Und die von ihm allein oder mit anderen organisierten Treffen und – ich benutze bewusst den Begriff – Veranstaltungen vor allem meist auch den einen oder anderen tieferen Sinn aufwiesen. Beispiele gefällig?
Da ist der Gerd-Hermann-Rauhaus Wanderpokal zu erwähnen, der verliehen wurde für besondere Verdienste bei der Verbesserung der Lebensqualität von mehrzehigen Säugetieren. Verliehen wurde der Preis zum Beispiel an eine Arbeit über die Wiesenmuffeltheorie in Geschichte und Praxis oder für die Arbeit „Der lange Weg vom klumpsäugigen sudanesischen Erdnussmampfer zum triplezehigen provenzalischen Schwanzwipper“. Das Thema schaffte es sogar in den Deutschen Bundestag, wo es Gegenstand parlamentarischer Anfragen der Abgeordneten Gansel und Schuchardt war, die der damalige parlamentarische Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, Gallus, brillant beantwortete.
Einige der Anwesenden werden sich auch an den Fortsetzungskrimi „Der Fall ‚K‘ – Sieglinden´s späte Rache“ erinnern, mit dem in insgesamt 50 Folgen Anfang der Neunzigerjahre im berühmt-berüchtigten Gasthaus Mierscheid wöchentlich die deutsch-deutsche Nachkriegsgeschichte aufgearbeitet wurde – von jeweils wechselnden Autoren – die meisten Folgen hat Gerd geschrieben.
Nicht unerwähnt dürfen auch die privaten Feierlichkeiten bleiben, bei denen Gerd immer sicherstellte, dass Trinken und Essen nur auf höchstem kreativem Niveau aller Beteiligten stattfanden – wie z. B. bei der Eröffnung der Rauhauschen Parkanlagen 1976 noch in der Oppelner Straße. Oder später bei geradezu theatralischen Darbietungen in den Räumlichkeiten der Meckenheimer Allee, bei denen reichlich gesungen und rezitiert wurde – vor eigens aufgebauten Bühnenbildern versteht sich. Ich sage nur Eckhard Henscheid, Arnos Teppichladen und Sechsämtertropfen!
Bei solchen Gelegenheiten konnte man auch weitere, sehr persönliche Seiten von Gerd erleben: Er kochte gerne. Am liebsten für viele Gäste mit Kindern, Hunden und Katzen. An seinen großen Tafeln – im Dezember meist unter einem, riesigen Adventskranz, der jeder Rathauseingangshalle Ehre getan hätte – herrschte immer eine Atmosphäre zum Wohlfühlen.
Er spielte gerne, alles, überall und jederzeit: Billard, Karten, Backgammon oder Boule, sogar wenn er zu seinen aktiven Bootszeiten an einer Schleuse warten musste.
Er war ein begnadeter Redner; aus dem Stehgreif und druckreif.
Er liebte Musik – authentische Musik. Die Klänge von Griechenland und Kreta und der Jazz lagen ihm besonders am Herzen. Sein ganzer Stolz war u. a. eine alte Grammophonanlage. Lange wurmte es ihn, dass er mit seinen Jazz-Schätzen beim Schellackplattenwettbewerb des Liberalen Zentrums im Frühjahr 1984 von Fred Kinglees „Zementmixer“ auf die Plätze verwiesen wurde.
Unbedingt erwähnenswert ist auch, dass Gerd gerne Kapitän spielte. Zunächst auf der Landstraße mit VW-Bully 1 und Bully 2. ´ Dann mit seinem ersten Schiff, einem Gummiboot namens Knofel, das zu winterlichen Zeiten im Eis zu Wasser gelassen wurde. Es folgten die Kanäle von Burgund mit der „Butterfly Morning“.
Gerd gehörte dennoch zu den eher Stillen. Daher muss an dieser Stelle auch noch eine andere Eigenschaft besonders hervorgehoben werden. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass Gerd einer der hilfsbereitesten Menschen war, die ich kenne. In meiner Wohnung gibt es kaum ein Zimmer, das nicht in irgendeiner Ecke Zeugnis von seiner Hilfsbereitschaft und seinem handwerklichen Können ablegt. Wenn er gebraucht wurde, war Gerd immer da. Z. B. für seine Patenkinder. Für sie war „Onkel“ Gerd wie aus dem Bilderbuch: großzügig, zum Blödeln, zum Spielen und immer entspannt.
Ein anderes Thema: Neben Wirtinnen, Köchinnen und Kellnerinnen spielten drei Frauen in Gerds Leben eine herausragende Rolle:
Seine Mutter Anneliese, über die er zwar ab und zu die eine oder andere nicht übermäßig liebevolle Bemerkung fallen ließ,
um die er sich aber bis zu ihrem Tod liebevoll-besorgt ständig kümmerte.
Dann ist Heidrun zu nennen, seine kongeniale Gefährtin in den wilden Jahren in der Meckenheimer Allee.
Und schließlich Petra, die er 1991 heiratete. Gemeinsam verbrachten sie glückliche Jahre.
Auch in der Zeit danach, in denen es Gerd schlecht ging, und nach ihrer Trennung kümmerte sie sich um ihn.
Nach Gerds Eintritt in den Ruhestand und seiner Rückkehr von Brüssel nach Bonn vor sechs Jahren, wurde sein Leben ruhiger. Die Bundesstadt war nicht mehr das alte Bonn; viele seiner Weggefährten waren weggezogen, nach Berlin oder – ebenfalls in Rente – in alle Himmelsrichtungen. Die Kreise wurden kleiner. Einige Reisen hat er noch unternommen, nach Ägypten, nach Jordanien, zuletzt in die Türkei, den Fotoapparat wie eh und je immer dabei. Er hat seinen Plan durchsetzen können, die Sommermonate in Frankreich, genauer in Burgund, auf seiner geliebten „Butterfly Morning“ zu verbringen. Dorthin ging auch seine letzte Reise. Dort starb er auf seinem Schiff.
Einem von uns hat er einmal gesagt: „Wir schaffen es nicht mehr uns in Bonn zu treffen?! Dann freue ich mich, wenn ihr mich mal besucht!“ Einige von uns haben Gerd auf seinem Boot in den letzten Jahren besuchen können. Ich habe es leider nicht mehr geschafft. Das tut mir sehr weh. Denn – und mit diesem Gefühl werde ich auch nicht alleine dastehen – nach einer Zeit, in der auch die Gesundheit nicht immer mitspielte, ging es Gerd in den letzten Jahren wieder gut; war er fast wieder der alte. Es wäre schön gewesen, noch einmal an die alten Zeiten anknüpfen zu können.
Doch Gerd ist nun tot. Vieles von dem, was er getan, gesagt und geschrieben hat, wird aber in uns lebendig bleiben.
Wir alle werden wohl unsere jeweils eigenen Gedanken zum Thema Tod haben.
Aber dieser indianischen Weisheit werden wir alle bestimmt zustimmen können:
„Wie können die Toten wirklich tot sein, solange sie in unseren Herzen weiterleben?“
Wir, seine Freunde, sollten daher jedes Mal, wenn wir zusammenkommen, von ihm erzählen, und wir werden uns an immer mehr Geschichten erinnern. Wir werden vielleicht noch ein paar Tränen verdrücken, aber wir werden auch immer wieder herzlich lachen. Gerd hat unser aller Leben reicher gemacht, und dafür sagen wir ihm heute Danke.